Elisabeth:
Sie sollen einen schönen Traum haben

Ich war das Numero sieben von acht Kindern einer Bauernfamilie. Das Numero, das im Turnen als letztes in die Mannschaft gewählt wurde. Keine Fragen stellen und keine Lämpen machen, das habe ich früh gelernt. Wenn du arbeitest, bist du was, und am Sonntag ist Heilige Messe. Kopf und Seele von Numero sieben bekamen kaum Futter. Da wurde nicht gefördert und nicht gelobt. Ich kannte nichts anderes. Ich lernte nicht, mich auszutauschen, und ich konnte nirgends mithalten. Ich kam nicht vor. Nicht einmal in meinem eigenen Leben. So habe ich mich zu sehr an andern orientiert und fiel einigen von ihnen auch zum Opfer. In der Ausbildung zur Pflegefachfrau wurde ich so gezielt überfordert, dass ich abbrechen musste. Das war der absolute Tiefpunkt. Und genau an jenem Mittwoch kommt mein Gottibub zur Welt, mein Schwager denkt als erstes an mich, telefoniert ins Spital, lässt mich von der Chefarztvisite wegholen, um mir zu sagen, dass ich Gotti geworden bin. Das hat mir das Leben gerettet. Wortwörtlich.
 
Rückblickend waren die ersten 25 Jahre meines Erwachsenseins Krampf und Kampf. Ich litt unter chronischen Magen-, Rücken- und Gelenkschmerzen und ich knirschte nachts mit den Zähnen, bis meine zerstörten Kiefergelenke eine Operation benötigten. Ich suchte, doch ich wusste nicht, wonach.
 
1996 habe ich den Abschluss nachgeholt. Erst sieben Jahre später traute ich mir zu, als kompetente Pflegefachfrau die Verantwortung für die Lernenden zu übernehmen. Dabei bin ich aufgeblüht und habe erstmals erlebt, wie empathisch und kreativ ich sein kann.
 
Erst Jahre später erkannte ich, dass ich ‚ich‘ sein, dass ich wirklich vorkommen darf. Das war in den Kursen von befreit leben ab 2011. Ich habe so gelitten, und trotzdem bin ich hingegangen, weil mir klar war: Hier brechen die Schraubzwingen um mein Herz auf. In den Kleingruppen wurde ich konfrontiert mit Verletzungen und Vernachlässigung, mit Versäumnissen, Mangelerscheinungen und Mobbing. Da gab es Wut und Trauer, heftige Aus- und Aufbrüche. Ich fand Zugang zu und Umgang mit mir. Seither baue ich aus den Trümmerstücken Neues. Was ich baue? Ich baue mich selber. Die Kurse waren der Anfang meiner Rettung.
 
Ans Nachdiplomstudium Anästhesiepflege wagte ich mich erst 2008. Im Operationssaal vertraut mir der Patient sein Leben an. In den Minuten, bevor ich ihn einschlafen lasse, kann ich ihm so viel mitgeben. ‚Haben Sie sich schon einen Traum ausgewählt?‘, frage ich. Dann lächelt der Patient. Meine Patienten müssen gelächelt haben, bevor sie einschlafen. Sie sollen einen schönen Traum haben.